Disruption in der SEO-Branche?
Sonntag, 23.09.2018
Noch vor wenigen Jahren konnte man mittels Suchmaschinen-Optimierung (SEO) völlig belanglose Websites auf die vorderen Plätze der Suchmaschinen katapultieren. Und es war klar, dass es dabei nicht bleiben würde: das semantischeWeb wurde als das nächste große Ding im Anschluss an das Web 2.0 prophezeit. Wir schreiben das Jahr 2018 und es ist nicht mehr die Frage, ob Google es schafft, die semantische Suche zu implementieren, sondern sie ist Realität, deren Konsequenzen alle Mitspieler im Web auf dem Schirm haben müssen. Ist das das Ende von SEO?
Content-Marketing und semantisches Web
Als treibenden Motor für die Entwicklung des Web beobachten Web-Akteure neben Bing, Twitter, Facebook und Instagram vor allem Google. Google ist für die meisten Benutzer der Einstieg ins Internet. So verfolgen Marketing-Experten, Web-Architekten und Entwickler die Weiterentwicklung der Such-Algorithmen mit Argusaugen, um keinen Trend zu verpassen, um die von ihnen betreuten Websites im vorderen Feld der Ergebnis-Listen sichtbar zu machen.
Um zu verstehen, in welche Richtung sich die Suchmaschinen-Algorithmen entwickelt haben, und um die Frage zu beantworten, welche Motive den Suchmaschinen-Giganten treiben, lassen Sie uns eine kleine Zeitreise in die Geschichte der Algorithmen unternehmen. Nach diesem Ausflug in die jüngere Geschichte werden Sie nachvollziehen können, warum manches Unternehmen mit seiner digitalen Strategie so erfolgreich werden konnte. Anhand eines konkreten Beispiels erfahren Sie, warum es heutzutage unabdingbar ist, sich mit den Themen Digitalisierung im Marketing und Management von Contents auseinanderzusetzen.
Im Jahr 2011, hat Google das bemerkenswerte »Panda-Update« seines Algorithmus ausgerollt. Eigentlich waren es eine Reihe von »Panda-Updates«, die in den Jahren 2011 bis 2014 veröffentlicht wurden.
Diese Veränderung des Suchalgorithmus sollte zum einen sogenannte Content-Farmen eindämmen, also sehr umfangreiche Sites, die mehr oder weniger wertlosen Inhalt enthalten oder aus anderen Quellen aggregieren, die auf bestimmte Schlüsselworte (Keywords) hin optimiert wurden. Diese Sites wurden als erstes durch Google in seinen Ergebnissen herabgestuft. Googles Ziel war es, Websites mit hochwertigen Contents mehr zu würdigen und Sites mit belanglosen Inhalten samt ihrer überbordenden Anzahl an Online-Werbebannern auf die hinteren Plätze zu verweisen. Das »Panda-Update« sollte nur ein Schritt auf dem Weg zu weitreichenden Veränderungen sein.
Das »Penguin-Update«, das 2012 veröffentlicht wurde, geht einen Schritt weiter. Es filtert gnadenlos Sites aus, die mit Tricks wie Keyword-Stuffing, Cloaking oder unsichtbaren Texten arbeiten. Also trickreiche Methoden, um Suchmaschinen auf sich aufmerksam zu machen, um sie dazu zu missbrauchen, Besucher auf banale Websites zu locken. Das »Penguin-Update« ist ein weiterer Schritt Googles, um einerseits Web-Spam zu bekämpfen und andererseits dem Web-Besucher qualitativ hochwertige Suchergebnisse zu präsentieren.
Der eigentlich umwälzende Schritt war aber das »Hummingbird-Update«. Bisher konnte Google nur einzelne Wörter oder Wortkombinationen erkennen, ohne den Kontext zu analysieren. Und während »Panda« und »Penguin« eher darauf ausgelegt sind, Inhalte zu filtern, ist »Hummingbird« ein komplett neuer Unterbau des Google-Algorithmus.
So funktioniert die semantische Suche
Betrachten wir einmal eine Anfrage wie »Suche mir einen Ort, an dem ich in München Pizza essen kann«. Google kann nun den Gesamtzusammenhang analysieren, kann Worte durch Synonyme ersetzen (Ort = Restaurant), kann daraus andere Anfrage-Regeln generieren, um so bessere Suchergebnisse anzuzeigen. »Hummingbird« erkennt die Bedeutung der Eingaben, die Suchmaschine versteht sie nicht als Aneinanderreihung von Keywords, sondern erfasst den Zusammenhang und kann daraus eine qualitativ bessere Suchanfrage ableiten, bzw. relevantere Inhalte aufbereiten.
Dieser englischsprachige Text beleuchtet die Entstehung von Hummingbird genauer.
Neben der oben schon beschriebenen Berücksichtigung von Synonymen spielt die Unterscheidung von Homonymen z.B. »Käfer« (Insekt) gegenüber »Käfer« (Auto) für die Qualität von Suchergebnissen eine wichtige Rolle. Eine Mehrdeutigkeit wird durch den Kontext der Suchanfrage erkannt und falsche Zuordnungen entfernt.
Ein dritter Aspekt bezieht das Hintergrundwissen eines Begriffes mit in die Suchergebnisse mit ein. Sucht man beispielsweise nach »Käfer« bei Google, zeigt Googles semantische Datenbank, der Knowledge Graph, bereits Hintergrundinformationen zu »Käfer« (Insekt) und bezieht diese Hintergrundinformationen (z.B. aus Wikipedia) mit in die Ergebnisse mit ein.
Im Unterschied zur alten Architektur der Google-Datenbank, die früher ausschließlich mit Taxonomien arbeitete, die nur eine hierarchische Untergliederung bildete, stellt die semantische Suche seit Hummingbird mit Ontologien ein Netzwerk von Informationen mit logischen Relationen dar. Diese Ontologien setzen sich aus Entitäten zusammen, also eindeutig verortbaren Einheiten und deren Eigenschaften. Hier ein Artikel der diese Funktionsweise genauer beschreibt. Zusammenfassen könnte man die Entwicklung folgendermaßen: Während der Benutzer früher nach »Hunde« gesucht hat, und die Suchmaschine ihm Referenzen auf Seiten geliefert hat, die eine gewisse Häufigkeit des Wortes »Hunde« enthielt, ist der Prozess heutzutage weitaus intelligenter: Zuerst wird die Suchanfrage analysiert, es erfolgt der Abgleich aufgrund eines komplexen Algorithmus (den Google auch stetig weiterentwickelt), der Kontext des Benutzers wird ausgewertet und die besten Ergebnisse werden aus einer Vielzahl von Informationen zusammengetragen. Zu guter Letzt wird die Ergebnisseite mit Hintergrundinformationen angereichert.
Die Disruption des SEO-Marktes
Wie sich zeigt, geht es bei der Indizierung und den Suchabfragen nicht mehr um stupides Abfragen von Keywords, nicht um statische Abfragen von Vorkommen bestimmter Wörter, es geht um sinnvolle Zusammenhänge. Es ist enorm wichtig, zu verstehen, dass die User Experience des Besuchers einer Website in den Fokus gerückt wird. Und Google hat sehr große Fortschritte darin erzielt, die User Experience aufgrund der gespeicherten Daten zu bewerten. Wenn Sie also in Zukunft wollen, dass Ihre Website sichtbar bleibt, dann müssen Sie sich mit der Qualität von Inhalten beschäftigen und damit, was Menschen im Web tatsächlich suchen.
Die Manipulation von Inhalten, um potentielle Kunden an einen bedeutungslosen Ort zu locken, gehört der Vergangenheit an. Und damit alle Geschäftsmodelle, bei denen es nur darum geht, die Zugriffszahlen zu zählen, um einen vermeintlichen Erfolg nachzuweisen, der sich vielleicht in Werbeeinnahmen ummünzen ließe.
Nach den genannten Updates der Suchalgorithmen hieß das Credo fortan: Was gut für den Menschen ist, ist gut für die Suchergebnisse. Es geht um den Kontext, Assoziationen, und Beziehungen von komplexen Daten-Netzwerken. Googles Bemühen geht dahin, die Website-Betreiber davon zu überzeugen, qualitativ hochwertigen Content bereitzustellen. Die Customer Journey steht im Mittelpunkt.
Man mag gegenüber Google misstrauisch sein, wenn es um Datenschutz geht, aber mit seiner Initiative, den Paradigmenwechsel in der Betrachtung von Inhalt und Wissen voranzutreiben, realisiert der Konzern Schritt für Schritt eine beindruckende Vision davon, wie das Web dem Menschen dienen kann.
Vorbei sind die Zeiten, in denen SEO-Sportler ihre Dienstleistung als heiligen Gral des Web-Marketings anpreisen und die technische Optimierung über der inhaltlichen Betrachtung steht. Das heißt nicht, dass SEO überflüssig geworden ist; nein, es hat seinen Platz gemeinsam mit dem digitalen Marketing, SEM oder der Public Relations eingenommen. Wobei: Das digitale Marketing mag den wichtigsten Part im Gesamt-Prozess übernommen haben. Hand in Hand mit Web-Entwicklern, Redakteuren, Autoren und SEO-Spezialisten kann eine erfolgreiche Unternehmenskommunikation entworfen und umgesetzt werden.
Managing Content
War SEO und Content-Management bist 2013 eindimensional, hat Google mit seinen veränderten Algorithmen einen neuen Blick auf die Marke, das Marketing und die Unternehmenskommunikation ermöglicht. Mit dem Geschäftsfeld Content-Marketing ist in den letzten Jahren eine ganzheitliche, integrierte Marketing-Disziplin entstanden. Und die gesamte Marketing-Branche hat sich auf die neue Situation eingestellt.
Svenja Hintz, eine Autorin einer Content-Marketing-Agentur hat das schon früh erkannt und bringtes mit diesem Zitat auf den Punkt:
»Um von Google als Expertenwesen zu einem bestimmten Thema wahrgenommen zu werden, geht es nicht mehr darum, einen dummen Algorithmus von sich zu überzeugen, sondern es geht darum, einen immer intelligenter werdenden Algorithmus UND einen Menschen am anderen Ende des Bildschirms von sich zu überzeugen. Markenaufbau wird zum Grundpfeiler der Online Präsenz und Content das Mittel zur Kommunikation.«
Sehen wir uns im Folgenden ein herausragendes Beispiel aus der Praxis an.
Der Content macht die Musik
Zum siebten Mal gewann das Musikhaus Thomann dieses Jahr (2018) den Online-Handels-Award in der Kategorie »Customers Choice« des IFH Köln.
Was macht die Erfolgsgeschichte dieses Online-Versenders aus? Ein Artikel in der Zeitschrift brand1 aus dem Jahr 2015 gibt Aufschluss. Hans Thomann, Inhaber des gleichnamigen Musikgeschäfts setzte schon früh auf das Medium Web begann etwa Mitte der Neunziger Jahre mit seiner ersten Website. Kurz darauf kam dann der erste Online-Shop dazu. Seit diesen Anfängen ist aus dem kleinen mittelständischen Unternehmen ein internationales Unternehmen herangewachsen, das nach eigenen Angaben mit 1440 Mitarbeitern über 10 Mio. Kunden in 19 Ländern beliefert (Stand 2018).
Was unterscheidet Thomann von anderen Musikalienhändlern, worauf basiert sein Erfolg? Und wie kann ein Mittelständler beispielsweise einem Branchenriesen wie Amazon trotzen? Die Antwort heißt Content. Nicht nur Content, selbstverständlich, aber es ist ein wesentlicher Pfeiler seines Konzeptes. Schon früh setzte Thomann auf selbst produzierten Content: Ratgeber, Produktbilder, Videos, 3D-Ansichten, gut aufbereitet und informativ. Anfangs wurde das Unterfangen selbst von den eigenen Mitarbeitern belächelt: »Jeder weiß doch, wie ein Keyboardständer aussieht«. Dennoch setzten die Online-Macher beim Musikhändler die Strategie konsequent fort. Jeder Artikel wird detailliert in Szene gesetzt, mit meistens mehr als einer Abbildung, ausführlicher Beschreibung und eigens produzierten Videos. Ratgeber für die wichtigsten Produktkategorien runden das Online-Angebot ab. Der Erfolg gibt dem Unternehmen recht:
»Mir wurde irgendwann klar, dass durch Google am Ende derjenige gewinnt, der nicht nur automatisiert Produktinformationen der Lieferanten in seine Website reinlaufen lässt [...]«,
sagt Sven Schoderböck, der für das Online-Angebot bei Thomann verantwortlich ist, im Interview:
»[...] sondern der [, der] die besten Inhalte generiert.«
Zur Zeit dieses Interviews steckte Thomann rund eine Million Euro pro Jahr in die Produktion von Content. Dieses Investment zahlt sich aus.
Treten wir einen Schritt zurück und betrachten nicht nur die reine Content-Produktion, sondern sehen das Konzept im Gesamten, aus der digitalen Marketing-Perspektive. Der Marketing-Leiter Sven Schoderbeck wird in einem Artikel von adzine.de folgendermaßen wiedergegeben:
»Das digitale Marketing [ist] eine völlig neue, zielgerichtete und effiziente Art und Weise, mit Menschen zu kommunizieren. Geschichten zu erzählen, Botschaften zu versenden. Über Rückkanäle [gibt] es die wichtigen Feedbacks...«. Und er kommt zu dem Schluss, dass digitales Marketing für Thomann, aber auch für die gesamte Musikbranche »überlebenswichtig« sei.
Zusammenfassung und Ausblick
Google definiert den Standard, nicht nur wie Websites gefunden werden, sondern durch seine Kriterien, welche Qualität Websites haben müssen, um konkurrenzfähig zu sein. Früher war es möglich durch technische Tricks eine belanglose Website auf die obersten Ränge der Suchmaschine zu bringen, heute zählen Inhalte – und zwar nicht beliebige Inhalte, sondern solche, die den Kunden auf seiner gesamten Customer Journey begleiten und dafür sorgen, dass die Konversionsrate stimmt.
Die digitale Disruption findet in der SEO-Branche statt, die umdenken muss, aber auch im Marketing. Das digitale Marketing funktioniert weit »ehrlicher« als der klassische Vertrieb, bei dem viel »heiße Luft« produziert wird. Im Mittelpunkt steht die Marke und Content ist das probate Mittel der Kommunikation.
Umso wichtiger werden Software-Systeme, mit denen die Contents intelligent verwaltet werden. Ein Blog-System wird nicht mehr ausreichen, um Contents aus verschiedenen Quellen bedarfsgerecht oder personalisiert an die verschiedenen Touchpoints auszuliefern.
Zu einer digitalen Marketing-Strategie gehört auch eine digitale Architektur, die mit den neuen Anforderungen an das Marketing mitgedacht wird. Zu diesem Themenkomplex werden wir in vielen weiteren Artikeln in dieser Rubrik Ideen entwickeln und Beispiele vorstellen.
Gehen Sie kreativ mit Ihrem Wissen um, mit Ihrem Firmenwissen, mit dem Branchen-Wissen und mit den Skills Ihrer Mitarbeiter. Der Erfolg Ihres digitalen Marketings wird davon abhängen, ob Sie dieses geballte Wissen systematisch in hochwertigen Content und Online-Services umsetzen können.